Eines der Projekte im InNoWest-Team Partizipation „Studierende gestalten Nachhaltigkeit“ beschäftige sich im vergangenen Wintersemester mit jüdischer Geschichte in Eberswalde. Das Projekt wurde als eines von Vielen im Rahmen des Moduls „Einführung in die nachhaltige Entwicklung“ durchgeführt. Das Modul ist transdisziplinär für alle Erstsemesterstudierende aus allen Bachelorprogrammen an der HNEE.
Mit der Initiative „AL TISHKACH“ und in persönlichem Austausch mit einem Nachfahren der jüdischen Familie Löwenthal aus Eberswalde, entwickelten die Studierenden die Idee einer Gendenktour. In fünf Stationen soll die Geschichte der Löwenthals darin erzählt werden.
Wie die Idee entstand…
Die Projektidee ist auf eine Stolpersteinverlegung im Sommer 2024 durch die Initiative „AL TISHKACH – VERGISS NICHT: Spuren Jüdischen Lebens in Eberswalde“ zurückzuführen. Zur Stolpersteinverlegung reisten Angehörige der Opfer und Überlebenden des Holocaust aus verschiedenen Kontinenten nach Eberswalde an. Bewegt vom Interesse an ihrer Geschichte schickte u.a. Robert Huber Fotos aus dem Familienalbum seiner Mutter Lilli Löwenthal (später verheiratete Kirsh) an die Initiative „AL TISHKACH“. Die Fotos zeigen das Leben der Familie während der NS-Zeit in Eberswalde und nach der Flucht 1938 in Australien bzw. später Kanada.
Doch was – außer die Fotos ins städtische Archiv zu übernehmen – könnte ein angemessener Umgang mit diesen Zeitzeugnissen sein? Ellen Grünwald von „AL TISHKACH“ pflegt seit Jahren den Kontakt und zum Teil sehr persönlichen Austausch zu Überlebenden und deren Angehörigen. Sie kam mit dieser Fragestellung auf uns zu und die Projektidee entstand:
Zehn Studierende, alle aus verschiedenen Bachelor-Studiengängen der HNEE, hatten die Aufgabe, anhand der Fotos der Familie Löwenthal ein Konzept für den öffentlichen Raum zu entwickeln. Ellen Grünwald bzw. die Initiative „AL-TISHKACH“ war dabei die Praxispartnerin. Im Sinne eines Offenen Gedenkens waren außerdem ein Interview und Mailkontakte zwischen den Studierenden und Robert Huber – dem Sohn der inzwischen verstorbenen und Holocaustüberlebenden Lilli Löwenthal – eine unverzichtbare Grundlage der Konzeptentwicklung – denn:
„Offenes Gedenken will den Inhaftierten und Überlebenden […] würdevoll zuhören und ihre Inhalte dokumentieren bzw. ihre Wünsche in den Vordergrund stellen. Auch in Abgrenzung zu institutionalisiertem bis staatlichem Gedenken, in dem Überlebende immer weniger ihren Platz finden und Historiker*innen als Expert*innen den Raum eingenommen haben.“
Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V. (2013)
Archiv Aufnahmen
Eintauchen in die Geschichte…
Die Studierenden beschäftigten sich in der ersten, begleiteten Projektphase mit zwei Ansätzen der NS-Erinnerungsarbeit. Besonders hilfreich war der Ansatz der Multiperspektivität.
Multiperspektivität in der Erinnerungsarbeit berücksichtigt sowohl die Vielfalt der Perspektiven und Handlungsspielräume verschiedener Zeitzeug*innen als auch die der Adressat*innen an die sich die Bildungsarbeit richtet.
Auch der Besuch des Anne-Frank-Zentrums und des Schöneberg Museums (mit Fotoalben jüdischer Familien) half, Denkanstöße zur Konzeptentwicklung zu bekommen. Als Abrundung der begleiteten Phase diente eine Stolpersteinführung durch die Eberswalder Innenstadt mit Ellen Grünwald.
In der nächsten Projektphase wurde das Konzept weitgehend eigenständig durch die Studierenden entwickelt. Ein wichtiger Teil war das Interview mit Robert Huber, dem Sohn der Holocaustüberlebenden Lilli Löwenthal. Im Interview wurde deutlich, wie wichtig es ist, immer weiter zu- und hinzuhören und den biografischen Zugang zur Geschichte zu ermöglichen. Das Interview war sicherlich für alle Beteiligten, auf verschiedene Weise, ein bereichernder Moment.
Das Konzept zur Gedenktour
Im Ergebnis haben die Studierenden eine Gedenktour mit fünf Stationen mit Fotos und kurzen Texten entwickelt. Die Stationen befinden sich am ehemaligen Wohnhaus der Familie, zeigen den Alltag in Eberswalde, Lilli Löwenthal in der Schule, beschäftigen sich mit der Flucht nach Australien und schließen mit einer Tafel zum Leben nach der Flucht in Australien ab.
Im Folgenden sind einige Ausschnitte aus dem Konzept der Studierenden aufgeführt:
„An jeder Station soll eine Gedenk- und Informationstafel entstehen. Die fünf Stationen sollen jedoch nicht einfach für sich stehen, sondern werden in Form einer Gedenktour aufeinander abgestimmt. Hierdurch sollen die Orte, die einen Bezug zur jüdischen Geschichte und zur Familie Löwenthal haben, sichtbar und greifbar gemacht werden.“
„Als digitales Element schlagen wir vor, auf die Gedenk- und Informationstafeln QR-Codes einzurichten, mit denen man den Text und weitere Informationen abspielen lassen kann. […] Die Gestaltung der Tour mit analogen sowie digitalen Elementen bietet eine gute Möglichkeit für Lehrkräfte, das Projekt in die Unterrichtseinheiten über die Aufklärung der Verbrechen der Nationalsozialisten und den Holocaust einzubauen. […] Das Konzept soll auch einen Anlass zum Austausch und zur Reflexion schaffen. Dies könnte durch rhetorische Fragen, Aussagen oder Zitate erreicht werden.“
“Wir wollen nochmal hervorheben, dass unser Konzept unter Einbindung von Nachfahren der Familie Löwenthal entstanden ist. Die Perspektiven, Erfahrungen und Wünsche der Familie sind in die Bearbeitung eingegangen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für eine respektvolle und authentische Gestaltung von Erinnerungsarbeit.“
Am Ende des Projekts reflektierten die Studierenden ihren Lern- und Projektprozess. Dabei wurde benannt, wie wichtig es ist im Umgang mit der Komplexität des Themas kritisch Denken zu lernen und auch weniger häufig erzählten Perspektiven des Alltags, Überlebens und Weitermachens jüdischer Familien Raum zu geben. Umso erfreulicher, dass sich ein paar der Studierenden auch außerhalb des Projekts an der Umsetzung ihres Konzepts beteiligen wollen.